
Leisten sucht Schuster…
Der Bau der Pyramiden im Alten Ägypten
Von Prof. Dr. Ing. Dr. Phil. Frank Müller-Römer
Erschienen im Herbert Utz Verlag GmbH, München
ISBN 978-3-8316-0784-6
Im Jahre 2008 veröffentlichte Frank Müller-Römer (im folgenden M-R) seine Dissertation “Die Technik des Pyramidenbaus im Alten Ägypten“, in der er eine Hypothese zum Pyramidenbau vorstellte, die darauf basiert, dass der Steintransport über Tangentialrampen mittels eines Spills durchgeführt wurde.
Schnell stellte sich jedoch heraus, dass diese Hypothese nicht haltbar ist.
Die Existenz eines Spills ist für das Alte Reich nicht belegt und die vorgelegte Argumentation erwies sich entgegen der Aussage des Autors keineswegs als widerspruchsfrei.
Mit “Die Technik des Pyramidenbaus im Alten Ägypten”, welches M-R mir freundlicherweise für eine Bewertung zur Verfügung gestellt hat, legt er nun ein deutlich umfangreicheres Buch vor, in dem er eine überarbeitete Hypothese zum Pyramidenbau vorstellt. Dabei wird in der Hauptsache auf das nicht belegte Spill verzichtet.
Wie schon in seiner Dissertation widmet der Autor den vorbereitenden Kapiteln, in denen er die archäologische Faktenlage zusammenfasst und sich kritisch mit verschiedenen bisher veröffentlichten Theorien zum Pyramidenbau auseinandersetzt, den meisten Platz im Buch.
Hier finden sich im Wesentlichen die bereits in der Dissertation verwendeten Kapitel wieder, die sowohl überarbeitet als auch erweitert wurden. Allerdings täuschen 170 zusätzliche Seiten über die eigentliche Umfangerweiterung hinweg, denn gegenüber der Dissertation wurde hier eine deutlich großzügigere Seitenaufteilung und ein größerer Zeilenabstand gewählt.
Hervorzuheben ist die Intention des Autors, mit systematischer Methodik ein möglichst umfassendes Erklärungsmodell aufzuzeigen, welches sich zum einen an der archäologisch belegten Faktenlage orientiert und zum anderen technische Aspekte des Pyramidenbaus berücksichtigt. Sowie in sich widerspruchsfrei ist und naturwissenschaftlichen Kriterien entspricht.
Hervorzuheben deshalb, dies sei schon vorweggenommen, weil er seinen eigenen Vorgaben, wie schon in seiner Dissertation, nicht annähernd gerecht wird.
Bereits beim Lesen des Klappentexts wird für den vorgebildeten Leser erkennbar, dass die schon in der Dissertation von fachkundiger Seite bemängelte Vorgehensweise beibehalten wird, aus dem tatsächlichen, unsicheren Erkenntnisstand vermeintliche Fakten zu konstruieren und als archäologisch belegt darzustellen. So bemerkte Jurman in seiner Rezension zu MRs Dissertation:
[…] Ganz so unzweifelhaft, wie es der Autor aber darstellt, ist die Beleglage allerdings auch wieder nicht. [1]
<a href=“http://www.univie.ac.at/egyptology/ClausJurman.html“ target=“_blank“> Jurman</a>
Ungeachtet jeglicher Kritik und zweifellos in der Absicht der eigenen Hypothese mehr Gewicht zu verleihen, wird der Autor nicht müde, dem Leser diese vermeintlichen Fakten im Verlauf des Buches immer und immer wieder expressis verbis als archäologisch belegt zu suggerieren.
Einer solchen Vorgehensweise kann man zwar eine gewisse systematische Methodik nicht absprechen, mit naturwissenschaftlichen Kriterien ist das aber in keiner Weise vereinbar.
So stimmen im Klappentext die vom Autor aufgrund “neuer Erkenntnisse” ermittelten Bauzeiten der roten Pyramide des Snofru , der Pyramide des Cheops und der Pyramide des Mykerinos, angeblich mit den historischen Daten überein.
Darüber hinaus weist er u. a. auf S. 97 noch einmal explizit auf die historisch belegte Bauzeit der Cheops Pyramide hin. Dass es nur mehr oder weniger vage Vermutungen über die Regierungszeiten der Könige gibt, erwähnt M-R im Buch zwar, dass diese aber keinesfalls gleichzusetzen sind mit der tatsächlichen Bauzeit der Pyramiden wird dabei geflissentlich ignoriert.
Lediglich für die rote Pyramide des Snofru liegen Datumsangaben vor, die Vermutungen über deren Bauzeit zulassen, die M-R zwar ausführlich erwähnt, allerdings keine besondere Bedeutung beimisst, aber dazu gleich mehr.
Auf der 4. Seite der Einleitung (S. 18) wird ferner offensichtlich, wie fahrlässig M-R mit dem Terminus “archäologisch belegt” umgeht. Dort schreibt er:
[…] Die archäologischen Untersuchungen haben zweifelsfrei ergeben, dass die Pyramiden vor allem als Königsgräber errichtet wurden.
[…] Die Unversehrtheit der Mumie des Königs wurde für König und Hofgesellschaft als unabdingbar für das Leben im Jenseits betrachtet.
Mit diesen Aussagen entspricht er zwar dem allgemeinen Tenor der ägyptologischen Zunft, ignoriert aber wie diese auch die Tatsachen.
Denn, weder wurden in einer Pyramide des AR eine Königsmumie oder größerer Reste von Grabbeigaben gefunden, die definitiv auf ein Königsbegräbnis schließen lassen könnten. Noch gibt es verlässliche Hinweise darauf, welchen eigentlichen Zweck die Mumifizierung im AR hatte.
Hier einfach Befunde zu übertragen, die erst in der 12. Dynastie, rund 800 Jahre später belegt sind, entspricht ebenfalls keineswegs naturwissenschaftlichen Kriterien und zeigt unmissverständlich, mit welcher ungenügenden Objektivität selbst Vertreter der Wissenschaft Sachverhalte mitunter bewerten.
Bei so viel Oberflächlichkeit drängt sich allerdings zwangsläufig die Frage auf, warum überhaupt eine neue, überarbeitete Hypothese her musste, wenn es doch offensichtlich ganz dem ägyptologischen Gusto entspricht, bestimmte Dinge aus späteren Epochen einfach für frühere anzunehmen, obwohl keinerlei Belege dafür existieren?
Aber wenden wir uns nun M-Rs Hypothese zu, gemäß derer die Errichtung der Pyramiden aus drei maßgeblichen Schritten bestand.
Demnach errichtete man zuerst einen mehrstufigen Kern, wobei auf allen 4 Seiten und auf jeder Stufe 26,5° steile Rampen errichtet wurden, über die das Baumaterial befördert werden konnte und die nach Vollendung des Stufenkerns wieder abgebaut wurden
(s. Abb. 1) [Bild]Frank Müller-Römer, Der Bau der Pyramiden im Alten Ägypten, S. 400, Abb. 8.3.2.1.
Statt eines Spills setzt M-R nun hölzerne, drehbar angeordnete Umlenkwalzen ein, über die Zugmannschaften auf der anderen Seite der Rampe auf einer 45° steilen Treppe nach unten schreitend die Steine nach oben ziehen sollen (s. Abb. 2) [Bild]Frank Müller-Römer, Der Bau der Pyramiden im Alten Ägypten, S. 365, Abb. 8.2.1.1.
[…] Dies erscheint in der Art möglich zu sein, dass ständig für am Fuß der Rampe unten ankommende Arbeiter andere Arbeiter auf den oberen Stufen der Rampe das Seil übernehmen [2]Frank Müller-Römer, Der Bau der Pyramiden im Alten Ägypten, S. 365.
Im nächsten Schritt wurde dann damit begonnen, um den errichteten Stufenkern eine ebenfalls stufenförmige Arbeitsplattform zu errichten, auf der wiederum erneut auf allen 4 Seiten Rampen errichtet wurden, die es ermöglichten den Stufenkern entsprechend, bis zur Spitze hin, zu verkleiden.
Hierbei wurde die äußerste Verkleidungsschicht, aus Tura-Kalkstein, den Angaben des Autors zu Folge in Bosse verlegt.
D. h, die Außenseite der Steine war unbearbeitet und hervorstehend, lediglich an den Kanten wurde ein schmaler Streifen geglättet (s. Abb. 3) und die gesamte Fläche der Pyramide wurde erst im letzten Schritt, nach Fertigstellung des gesamten Pyramidenkörpers, abschließend von oben nach unten geglättet.
[…] Darauf aufbauend wurde eine neue, aus den archäologischen Befunden des AR abgeleitet und in sich widerspruchsfreie Hypothese für den Bau der Stufenpyramiden des AR entwickelt [3].Frank Müller-Römer, Der Bau der Pyramiden im Alten Ägypten, S. 22.
Hierzu bemerkte Jurmann in seiner schon erwähnten Rezension:
[…] genauer müsste man von einer Teilmodifikation und neuartigen Synthese bisher bereits in der einen oder anderen Form vorgebrachter Theorien sprechen […] [4].http://s145739614.online.de/fera/ausgabe8/Jurman.pdf, S. 19
In Kapitel 7 bewertet und analysiert M-R die bekanntesten Bauhypothesen zum Bau der Cheops Pyramide “kritisch”.
Nicht wenige davon scheiden aus seiner Sicht schon alleine deshalb aus, weil sie die von ihm suggerierten, angeblich archäologisch belegten Befunde, nicht berücksichtigen. In der Hauptsache sind das die separate Errichtung eines Stufenkerns und die abschließende Glättung von oben nach unten.
Dies ist umso unverständlicher, wenn man sieht, was M-R z. B. auf S. 158 über die Struktur der Knickpyramide schreibt:
[…] Über die innere Struktur der Knickpyramide ist nichts bekannt.
Auf S. 164 über die rote Pyramide:
[…] Über das Kernmauerwerk und dessen Bauweise […] kann mittels fehlender archäologischer Befunde keine Aussage getroffen werden.
Auf S. 183 über die Pyramide des Djedefre:
[…] Über die Baustruktur wurden bisher keine näheren Angaben gemacht.
Auf S. 187 über die Chefren Pyramide:
[…] Über das Kernmauerwerk und seine Struktur sind keine zuverlässigen Aussagen zu treffen.
Auf S. 220 über noch einmal über die Knickpyramide:
[…] Über die Bauweise der Knickpyramide und ihre innere Struktur kann keine archäologisch belegte Aussage getroffen werden.
Und auf derselben Seite noch einmal über die der roten Pyramide:
[…] Die Rote Pyramide weist erstmals horizontal verlegte Steinschichten auf. Wegen dessen guten Erhaltungszustandes ist wie bei der Knickpyramide wiederum keine archäologisch belegbare Aussage über die Struktur des dahinter liegenden Kernmauerwerks möglich.
Auf S. 221:
[…] Offen bleiben muss die Beantwortung der Frage, ob das Kernmauerwerk der Roten Pyramide aus waagerecht verlegten Steinschichten oder […] aus statischen Gründen aus Stufen mit horizontaler Steinverlegung besteht.
Ohne Frage ist keine der analysierten Bauhypothesen in der Lage schlüssige Lösungen für den Bau der Pyramiden aufzuzeigen, jedoch gäbe es eklatantere Mängel hervorzuheben, als die Nichtberücksichtigung von unbelegten Stufenkernen und einer ebenso wenig belegten abschließenden Glättung der äußeren Verkleidungsschicht.
Die schon angesprochenen Datumsangaben, deren Befund von M-R bestätigt wird [5]Frank Müller-Römer, Der Bau der Pyramiden im Alten Ägypten, S. 239, sprechen auch eine deutliche Sprache.
So weist die Aufschrift auf einem in der untersten Lage liegenden Eckstein an der SW-Ecke, auf das “15. Jahr der Zählung”. Dieser Stein wurde entweder zu Baubeginn dort verlegt oder kurz danach.
Weitere Blöcke der Verkleidung der roten Pyramide belegen, dass im 16. Jahr der Zählung der gesamte Pyramidenkörper bereits rund 12-15 Meter hoch errichtet war [6] Rainer Stadelmann, Die ägyptischen Pyramiden, S. 95, S. 225.
Keine Spur also davon, dass man hier zunächst über Jahre ein Stufenkern errichtete, der erst dann nachträglich verkleidet wurde!
Ein von Lepsius gefundenes Bruchstück eines Backing Stones trägt die Aufschrift 24. Jahr der Zählung. Aus welcher Schicht dieses Bruchstück, bzw. der dazugehörige Backing Stone stammt, ist nicht mehr festzustellen.
Aufgrund dieser vorhandenen Datumsangaben zieht Krauss den Schluss, dass der Bau der Pyramide mindestens 11 Jahre gedauert hat [7]Rolf Krauss, Zur Berechnung der Bauzeit der Roten Pyramide, S. 3.
Über die tatsächliche Dauer der Bauzeit kann also auch hier nur spekuliert, entgegen der Aussage des Autors aber keinesfalls eine verlässliche Aussage getroffen werden.
In Anbetracht dieser höchst unvollkommenen Faktenlage ist es absolut unverständlich, dass M-R in Kapitel 8.3 die rote Pyramide dennoch gemäß seiner Hypothese mit einem Stufenkern baut, dabei auf eine Bauzeit von 18,6 Jahren kommt und obendrein versucht dem Leser bereits im Klappentext einzureden, dass diese Bauzeit als historisch belegt gilt.
Auf die Argumentation bzgl. eines eventuell vorhanden Stufenkerns im Baukörper der Cheops Pyramide, bin ich bereits im Artikel “Die Integralrampen” ausführlich eingegangen.
Auch die Nebenpyramiden des Mykerinos G III a, G III b und G III c taugen wenig als archäologisch belegter Befund für die separate Errichtung eines Stufenkerns [8] Frank Müller-Römer, Der Bau der Pyramiden im Alten Ägypten, S. 357.
[…] Bei einigen Pyramiden, z. B. den Königinnenpyramiden des Mykerinos, G III b und G III c […] wurde nur das Kernmauerwerk errichtet. Es sei daher an dieser Stelle nochmals erwähnt, dass diese Tatsache die getrennten Bauvorgänge von Kernmauerwerk und Verkleidungsmauerwerk mit äußerer Verkleidung belegt [9] Frank Müller-Römer, Der Bau der Pyramiden im Alten Ägypten, S. 372.
Dabei gibt es allerdings nicht den geringsten Hinweis, dass die Pyramiden G III b und G III c jemals verkleidet wurden oder werden sollten.
Dies sehen nicht nur Lehner und Janosi so [10]Frank Müller-Römer, Der Bau der Pyramiden im Alten Ägypten, S. 195, sondern wird auch von Maragioglio & Rinaldi bestätigt:
[…] There is no trace of any filling between the large steps or of any casing.
[…] The […] casing of the pyramid were never begun [11]Maragioglio&Rinaldi, L’architetturade la Pyramide Menfiti, Parte VI, S.49, u. S. 50 f., L’architetturade la Pyramide Menfiti, Parte VI, S.49, u. S. 50 f..
Zudem ist es bei der Pyramide G III a überhaupt nicht sicher, dass diese überhaupt einen Stufenkern enthält. Es liegt daher durchaus im Bereich des Möglichen, dass diese Pyramiden zu keiner Zeit anders geplant waren.
Dass es sich hier um eine gravierende Abweichung von der Form der klassischen Pyramide handelt, die man nach Ansicht des Autors den Baumeistern der damaligen Zeit nicht unterstellen kann [12]Frank Müller-Römer, Der Bau der Pyramiden im Alten Ägypten, S. 195, ist alles andere als ein überzeugendes Argument.
Solang niemand sagen kann, wofür diese Pyramiden wirklich gebaut wurden, bzw. gedient haben, sollte sich auch niemand anmaßen, ohne entsprechende Belege, endgültige Aussagen über deren tatsächlich vorgesehene Bauweise zu treffen, nur weil es gerade ins Konzept passt.
Aus bautechnischer Sicht spielt es indes überhaupt keine Rolle, welche Struktur sich in einem Pyramidenkörper verbirgt. Unabhängig von der tatsächlichen Konstruktionsweise, stellt es nämlich überhaupt kein Problem dar, den kompletten Pyramidenkörper generell Lage für Lage zu errichten und einen Stufenkern oder was auch immer, währenddessen zu integrieren (s. Abb. 4).
Dass die Steine des Stufenkerns nicht mit denen der Verkleidungsschicht verzahnt sind, wie es bei der Pyramide des Mykerinos ersichtlich ist (s. Abb. 5) [Bild]Frank Müller-Römer, Der Bau der Pyramiden im Alten Ägypten, S. 358, Abb. 8.0 [13] Frank Müller-Römer, Der Bau der Pyramiden im Alten Ägypten, S. 357, hat dabei objektiv betrachtet keinerlei Aussagekraft und kann daher auch nicht als archäologisch belegter Befund für das separate Errichten eines Stufenkerns gewertet werden. Das separate Errichten eines Stufenkerns, sowie der zusätzliche Auf- und Abbau von bis zu 92 Rampen, wie es z. B. bei der Cheops Pyramide Fall wäre, ist sowohl in Hinblick auf den zeitlichen als auch auf den logistischen Aspekt, nicht einmal annähernd sinnvoll.
Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass die Errichtung eines Stufenkerns, wie es von M-R am Beispiel der Mykerinos Pyramide dargestellt wird (s. Abb. 6) [Bild]Frank Müller-Römer, Der Bau der Pyramiden im Alten Ägypten, S. 369, Abb. 8.2.1.8, bei der Cheops Pyramide gar nicht möglich war, weil der im Pyramidenkörper vorhandene Felskern eine solche Vorgehensweise überhaupt nicht zulässt.
Die NO-Ecke besteht bis auf eine Höhe von 1.95 m vom Fundamentpflaster gemessen aus dem Felskern, auf dem die Pyramide errichtet wurde [14] Maragioglio & Rinaldi, IV, La Grande Piramide di Cheope, S. 12. Einzig an SW-Ecke lässt sich nicht nachweisen, wie weit entfernt dieser von den Außenseiten liegt.
Mit einem Hinweis in der Fußnote 1047, auf S. 398, weist M-R zwar daraufhin, dass der Felskern bei seinen Betrachtungen keine Berücksichtung findet. Bei der Ankündigung eines “möglichst umfassenden Erklärungsmodells” sollte man allerdings schon davon ausgehen können, dass durchaus wichtige und maßgebende Aspekte, beim Bau der Pyramide, nicht einfach außer Acht gelassen werden.
Zu den in Bosse verlegten Steinen schreibt M-R auf S. 33 in der Fußnote 25:
[…] Dies zeigen die unteren Lagen der Außenverkleidung aus Granit der Pyramide des Mykerinos und die der E3 Phase bei der Pyramide in Meidum.
Auf die Argumentation bzgl. des abschließenden Glättens der äußeren Verkleidungsschicht von oben nach unten, die M-R schon in seiner Dissertation vorgelegt hat, bin ich ebenfalls bereits im Artikel “Die Integralrampe” detailliert eingegangen.
Fakt ist demnach allerdings, dass weder an der Pyramide in Meidum, noch an den anderen genannten Pyramiden ein archäologischer Befund wie er von M-R dargestellt wird, belegt ist.
Genau das Gegenteil ist der Fall.
Die wirklich archäologisch belegten Befunde zeigen zweifellos, dass keine dieser Pyramiden abschließend von oben nach unten geglättet wurde und an den unbearbeiteten Granitsteinen der Mykerinos Pyramide, die dies am aller deutlichsten belegen, sind auch keine schmalen Streifen entlang der Kanten geglättet worden.
Ergänzend dazu ist zu sagen, dass das Versehen der Steine mit einem schmalen, geglätteten Rand aus messtechnischer Sicht wenig plausibel ist. Was an den Seiten noch durchaus machbar erscheint, lässt sich an Ober- und Unterkannte kaum umsetzen.
Auf einem schmalen Streifen von 1-2 cm und auf einer Länge von 1- 2 m oder mehr, den Böschungswinkel anzubringen und exakt einzuhalten, war mit den aus damaliger Zeit bekannten Werkzeugen, wenn überhaupt, nur mit großem Zeitaufwand machbar.
Dies ist jedoch umso unwahrscheinlicher, wenn man bedenkt, dass bei einem Eckstein auf eben diesem schmalen Streifen ein 2. Winkel exakt angebracht und eingehalten werden muss, denn an der Eckkante muss der Böschungswinkel zusätzlich mit dem 90°-Winkel versehen werden (s. Abb. 7).
Bereits kleinste Abweichungen, die sich zwangsläufig mit zunehmender Höhe aufaddieren würden, hätten zur Spitze hin katastrophale Auswirkungen, wie M-R in Kapitel 4.4 ff selbst darstellt und in Kapitel 8 noch einmal ausdrücklich erwähnt.
Ein weiteres großes Manko bei einer in Bosse verlegten, äußeren Verkleidungsschicht, wäre der Umstand, dass es, unabhängig davon inwieweit die Bossen an den Steinen belassen werden, nicht möglich ist, den Böschungswinkel über mehrere Lagen hinweg zu kontrollieren (s. Abb. 3).
Dies wäre zwar grundsätzlich möglich, würde man die Pyramide abschließend von oben nach unten glätten, allerdings fehlt dabei dann jeglicher Bezugspunkt zur Basis, dem allerwichtigsten Messpunkt, denn die wäre ja unter den Arbeitsplattform verborgen.
Äußerst bemerkenswert ist, dass M-R sich dessen durchaus bewusst ist, denn in Kapitel 7.6, in der Zusammenfassung der von ihm “kritisch” bewerteten und analysierten anderen Bautheorien schreibt er:
[…] Eine exakte Vermessung während des Baus ist bei außerhalb der Pyramide spiralförmig angeordneter Rampen schwierig, da Außenflächen und Ecken teilweise verdeckt sind. Die Einhaltung des stets gleich bleibenden Rücksprungs ist sehr erschwert [15]Frank Müller-Römer, Der Bau der Pyramiden im Alten Ägypten, S. 351.
Das wirft wiederum zwangsläufig die Frage auf, warum er im Bewusstsein dieser Erkenntnis überhaupt noch eine Hypothese vorlegt, bei der einerseits der gesamte Baukörper verdeckt wird und andererseits, die seiner Meinung nach in Bosse verlegten Steine, exakte Messungen zusätzlich erschwerten, bzw. verhinderten?
Das Umschließen des gesamten Baukörpers mit Arbeitsplattformen ist alles andere als eine sinnvolle Maßnahme und “in sich widerspruchsfrei” kann man die Argumentation diesbezüglich wohl auch kaum nennen.
Die wiederholte Messung des Böschungswinkels über mehrere Lagen hinweg und die fortwährende Kontrolle der Eckkanten ist für die Errichtung eines geometrischen Körpers wie die Pyramide unabdingbar.
Im Gegensatz zu M-Rs Dissertation bestehen Rampen und Arbeitsplattformen nicht mehr nur allein aus Nil-Schlammziegeln, die sich an den in Bosse stehenden Verkleidungssteinen festkrallen; hierzu hatte ich seinerzeit im Artikel “Die Integralrampe” angemerkt, dass Nil-Schlammziegel in direkter Verbindung mit Wasser, das im Laufe einer mehrjährigen Bauzeit in Form von Regen und Morgentau relativ häufig vorkommt, den hellen Tura-Kalkstein über seine feinen Kapillaren gewiss tief verunreinigt hätte.
Wohl auch deshalb bestehen die Rampen und Arbeitsplattformen nun nicht mehr nur aus Nil-Schlammziegeln, sondern vor allem an den an der Pyramide angelehnten Seiten aus Steinen, während das Innere der Rampen und Arbeitsplattformen mit Nil-Schlammziegeln und Geröll, bzw. kleineren Steinen aufgefüllt wird.
Diese Umgestaltung macht allerdings wenig Sinn, denn Wasser folgt generell der Schwerkraft und dem kürzesten Weg. Der feine Tura-Kalk würde auch weiterhin durch aufgeweichte Nil-Schlammpartikel aus dem Inneren der Rampen und Arbeitsplattformen verunreinigt werden (Abb.8).
Zwar ist es auf den ersten Blick eine praktische Erklärung, die für den Bau der Rampen und Arbeitsplattformen verwendeten Nil-Schlammziegel einfach in der Landwirtschaft als Dünger zu entsorgen, und damit für die
Beobachtungen der Klemms ein einleuchtendes Argument zu liefern, jedoch erscheinen Nil-Schlammziegel in Verbindung mit dem feinen Tura-Kalk und Wasser, unter obigen Aspekten generell als ungeeignet für den Bau von direkt an der Pyramide anliegenden Rampen und Arbeitsplattformen.
Hinzu kommt die durchaus als mangelhaft zu bewertende Statik der von M-R konstruierten Arbeitsplattformen, die zweifellos, insbesondere an den Ecken, zu verheerenden Einstürzen führen würde (s. Abb. 9).
Kapitel 4.2.2.1 widmet sich dem Thema Seilumlenkung.
Wie eingangs erwähnt, wird das Spill, welches für das AR nicht nachweisbar ist, nunmehr durch hölzerne, drehbar angeordnete Umlenkwalzen ersetzt.
Der älteste Fund einer hölzernen Seilumlenkung sind 3 Rollen aus einem Grab in Lischt Nord. Es ist allerdings völlig unklar, aus welcher Zeit sie wirklich stammen.
Arnold datiert sie in die 12. Dynastie, also rund 800 Jahre nach Cheops, das britische Museum dagegen in die 19./20. Dynastie. Eine C 14 Untersuchung zur Bestimmung eines genaueren Alters steht noch aus.
Als ältester archäologischer Beleg gilt eine steinerne Seilumlenkung, die im Umfeld des Taltempels von Mykerinos gefunden wurde (s. Abb. 10) [Bild]George Andrew Reisner, Mycerinos, Pl. A (6), Abb. 8.2.1.84.
Dieser Fund wirft im weiteren Zusammenhang allerdings unweigerlich eine weitere Frage auf, nämlich, warum man zu dieser Zeit noch derart “antiquierte” Technik verwendete, wenn es doch lt. M-R schon mindestens seit Snofru Seilumlenkrollen gab?
Aufgrund des Fallsteinsystems in der Cheops Pyramide und einer Wandzeichnung aus der 5. Dynastie, auf der eine Leiter mit Scheibenrädern abgebildet ist, schreibt er:
[…] Es kann daher nicht ausgeschlossen werden [16]Frank Müller-Römer, Der Bau der Pyramiden im Alten Ägypten, S. 54, dass es auch bereits im AR bewegliche Seilrollen aus Holz gab.
[…] Derart gestaltete Seilrollen in unterschiedlichen Ausführungen (Abmessungen) wurden im Alten Ägypten für die Umlenkung auch großer Kräfte bzw. Lasten auf schiefen Ebenen eingesetzt [17]Frank Müller-Römer, Der Bau der Pyramiden im Alten Ägypten, S. 59.
Womit er die Faktenlage ein weiteres Mal zugunsten seiner Hypothese deutlich dehnt, denn wo und wie die gefundenen Seilumlenkrollen eingesetzt wurden, ist abermals entgegen seiner Darstellung nicht belegt.
Untermauernd erwähnt er dazu noch einmal:
[…] Der […] Transport schwerer Baumaterialien über die schiefe Ebene mittels Kraftumlenkung über die Rolle, bzw. eine drehbar angeordnete Walze und auf diese Weise mit einer abwärtsgerichteten Kraft unter Einbeziehung des Körpergewichts der Zugmannschaft kann als Stand der Technik im AR angenommen werden [18]Frank Müller-Römer, Der Bau der Pyramiden im Alten Ägypten, S. 77.
Fakt ist allerdings auch in diesem Fall, dass ebenso wie ein Spill, weder Seilrollen, noch drehbar angeordnete Umlenkwalzen aus Holz für das AR nachweisbar sind.
Das lässt sich auch aus dem Fallsteinsystem der Cheops Pyramide nicht ableiten, denn die dort verwendeten Bauteile müssen für ein Herablassen der Fallsteine weder die Form einer Walze gehabt haben, noch drehbar gelagert gewesen sein.
Demnach entspricht also auch die Annahme von Seilrollen und drehbar angeordneten, hölzernen Umlenkwalzen nicht im Geringsten naturwissenschaftlichen Kriterien.
Deren Nutzen ist in der von M-R eingesetzten Form allerdings auch mehr als überschaubar, denn eine Verringerung der erforderlichen Zugkräfte bewirkt die Umlenkung über derartige Walzen nicht. Ebenso gut könnte man die Seile auch über entsprechend gerundete und geglättete Steine aus Granit oder Diorit ziehen.
Es darf zudem bezweifelt werden, dass solche Walzen, bei der damals möglichen Drechsel- und Lagertechnik, zum einen schon wirklich leichtläufig hergestellt werden konnten und zum anderen, einer solchen Beanspruchung, dem Transport von Millionen Tonnen Stein, lange standgehalten hätten.
Außerdem ist das, was sich theoretisch als praktische Lösung präsentiert, nicht immer auch automatisch in die Praxis übertragbar.
Eine schwere Last ziehend, vorwärtsgehend, nach vorn gebeugt, eine 45° steile, schmalstufige Treppe koordiniert hinunter zu gehen, ist praktisch nicht umsetzbar. Ganz besonders dann nicht, wenn 10, 12 oder mehr Leute dicht hintereinander gehen.
M-R setzt die Breite einer Treppenstufe mit 21 cm an, bei einer normalen Herren-Schuhgröße 40 ist ein Fuß aber schon rund 25 cm lang. In Anbetracht der Erfordernisse, nämlich sicherer Stand/Halt und genügend Platz, um sich entsprechend ins Seil stemmen zu können, ergibt das wenig Sinn.
Wobei natürlich auch nicht vergessen werden darf, dass kein Arbeiter damals über festes Schuhwerk verfügte.
Nach Vorstellung des Autors sollen für die am Fuße der Rampe ankommenden Arbeiter andere Arbeiter das Seil oben auf der Rampe übernehmen.
Das würde theoretisch auch klappen, bei noch niedrigen Rampen, mit nur wenigen Treppenstufen, ist das jedoch eine recht absurde Vorstellung.
Zwar könnte man, wie dargestellt (s. Abb. 11) [Bild]Frank Müller-Römer, Der Bau der Pyramiden im Alten Ägypten, S. 365, Abb. 8.2.1.2, den Großteil der Arbeiter auf der Rampe selbst postieren, jedoch stimmt dann die von M-R in Kapitel 4.3.1 ff ermittelte Zugkraft nicht mehr und in der Folge auch die Anzahl der eingesetzten Zugarbeiter [19]Frank Müller-Römer, Der Bau der Pyramiden im Alten Ägypten, S. 364.
Die auf der Rampe postierten Arbeiter können sich aufgrund der ihnen den Weg versperrenden Umlenkwalze nicht von der Stelle bewegen und ihnen fehlt der Vorteil der “abwärtsgerichteten Kraft unter Einbeziehung des Körpergewichts”.
Die ermittelte Zugkraft von 89 kp, also rund 900 N würde sich drastisch verringern. Es wären daher wesentlich mehr Zugarbeiter erforderlich als von M-R in Kapitel 6.4 ff. berechnet.
Zu den in Kapitel 4.3 ff berechneten Zugkräften ist anzumerken, dass die in den Tabellen angegebenen Werte teilweise falsch berechnet sind. Die auf S. 86 verwendete Formel zur Berechnung des Steintransportes auf Rundhölzern ist keine gültige Formel. Wie damit die dazugehörigen Werte in Tabelle 4.3.1.2.1 errechnet wurden, ist nicht nachvollziehbar.
Genau genommen stimmen alle Werte nicht, denn diese sind allesamt in der Einheit Pond berechnet, welche bereits vor über 50 Jahren mit Einführung des Internationalen Einheitensystems SI durch die Einheit Newton abgelöst wurde und seit dem 1. Januar 1978 per Gesetz in Deutschland für die Angabe der Kraft unzulässig ist.
Ähnlich verhält es sich mit den Volumenberechnungen für das Baumaterial in Kapitel 8.2.5 ff, auch hier sind die Berechnungen teilweise fehlerhaft oder zumindest nicht nachvollziehbar.
Insgesamt gesehen sind die Ungenauigkeiten aber nicht so erheblich, als das sich daraus bedeutende Veränderungen ergeben würden.
M-R berechnet den Steintransport in Arbeitstakten. Demnach benötigt der Transport eines durchschnittlichen Steins von 1,2 m³ und einem Gewicht von 3,5 t einen Arbeitstakt à 10 Minuten bei der Pyramide des Mykerinos.
Für einen 10-Stunden-Arbeitstag bedeutet das, dass je Rampe theoretisch 60 Steine pro Tag auf die Pyramide befördert werden können. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden und auch bei der Berechnung der Arbeitstakte für den Materialtransport berücksichtigt M-R jeweils die richtige Anzahl der Rampen.
Die in den Kapiteln 8.2.1-8.2.5 gezeigten Bildern zum Bauablauf, gaukeln dem Betrachter allerdings eine Produktivität vor, die nicht der Realität entspricht.
Während im unteren Bereich über 8 Rampen, hier am Beispiel der Mykerinos Pyramide dargestellt, demnach 480 Steine pro Tag transportiert werden, können über die 4 Rampen auf der 2. Stufe im gleichen Zeitraum jedoch nur 240 Steine befördert werden .
Ebenso verhält es sich (bei den größeren Pyramiden) bei jeder weiteren Verringerung der Rampenanzahl auf nachfolgenden Stufe(s. Abb. 12) [Bild]Frank Müller-Römer, Der Bau der Pyramiden im Alten Ägypten, S. 371, Abb. 8.2.1.12 n. D. h., auf der 2. Stufe der Mykerinos Pyramide, müssten an jeder Ecke 60 Steine, also rund 210 t gelagert werden, was sich allein mit der schon angesprochenen mangelhaften Statik der Arbeitsrampen keinesfalls vereinbaren lässt.
240 Steine entsprechen der theoretischen Tageskapazität von 4 Rampen, um diese weiter zu transportieren, wäre der gesamte nächste Arbeitstag von Nöten. Währenddessen würden aber über die unteren 8 Rampen weitere 480 Steine herangeschafft.
Man müsste also zwangsläufig entweder Nachtschichten einlegen, jeden 2. Tag den Transport auf den Ebenen mit einer größeren Anzahl Rampen aussetzen oder eben generell (wie auch berechnet) nur über die Anzahl von Rampen Steine transportieren, die auf der aktuell obersten Ebene vorhanden ist.
Hinzu kommt, und hier wird ein weiteres Mal deutlich, dass M-R für seine eigene Hypothese ganz offensichtlich andere Maßstäbe ansetzt als für andere, dass die überschüssigen Steine, aufgrund der Anordnung der Rampen, erst mal aufwändig um die Ecke transportiert werden müssten, damit sie auf die nächste Stufe gebracht werden können – so wie es auf mehreren Bildern auch dargestellt ist.
Für die Mykerinos Pyramide hieße dass, auf 4,2 m bis 4,8 m breiten oder besser gesagt, schmalen Kernstufen und Arbeitsplattformen, [20]Frank Müller-Römer, Der Bau der Pyramiden im Alten Ägypten, S. 364, 373.
In der Zusammenfassung seiner “kritischen” Bewertung und Analyse hingegen schließt M-R den Steintransport um die Ecke jedoch im Zusammenhang mit spiralförmig angeordneten Rampen praktisch aus:
[…] Der Transport des Baumaterials um 90° an den Ecken des Pyramidenstumpfes, auch wenn diese abgeschrägt ausgeführt wird, [21]Frank Müller-Römer, Der Bau der Pyramiden im Alten Ägypten, S. 350 erscheint aus Platzgründen nur schwer möglich und würde einen großen Zeitaufwand erfordern.
Der Transport der ca. 8 m langen und bis zu 50 t schweren Granitbalken, sowie der ca. 60 – 70 t schweren Kalkstein-Deckenplatten, die ab einer Höhe von 48 m bis auf eine Höhe von ca. 63 m, über der Königskammer der Cheops Pyramide eingebaut wurden, ist mit dem von M-R vorgestelltem Transportmodell nicht realisierbar.
Eine mögliche Lösung dafür sieht er in der Verlängerung des Aufwegs der Cheops Pyramide mit einem Neigungswinkel von 6° in Richtung Pyramide:
[…] Er würde dann im Inneren der Pyramide eine Höhe von ca. 46 m über der Basis erreichen. Mit einem Neigungswinkel von 7° wäre eine Höhe von 53 m erreichbar [22] Frank Müller-Römer, Der Bau der Pyramiden im Alten Ägypten, S. 410.
Weder noch muss man dazu allerdings sagen, denn bei einem Neigungswinkel von 6°, was auf einer Länge von 10 m einer Erhöhung von etwa 1,04 m entspricht, würde mit einer solchen Rampe gerade mal eine Höhe von knapp 21 m an der Pyramidenkante und rund 30 m in der Pyramidenmitte erreicht (s. Abb. 13) [Bild]Frank Müller-Römer, Der Bau der Pyramiden im Alten Ägypten, S. 411, Abb. 8.4.5.
Bei einem Neigungswinkel von 7°, was auf einer Länge von 10 m etwa einer Erhöhung von 1,22 m entspricht, wären es ca. 25 m an der Pyramidenkante und rund 36 m in der Pyramidenmitte.
Bei 6° müsste die Rampe eine Länge von 460 m bis an die Pyramidenkante haben und bei 7° 394 m, um die Bauteile zumindest bis auf das unterste Einbaulevel transportieren zu können. Von da an müssten die Bauteile dann Lage für Lage nach oben befördert werden.
Den Neigungswinkel, bzw. die Rampe, wie abgebildet bis zur Pyramidenmitte laufen zu lassen, ist eine ziemlich groteske Idee, die keiner näheren Erläuterung bedarf.
Der zusätzliche Bau einer solchen Rampe hätte zur Folge, dass sich das bis dahin geschilderte Bauszenario entscheidend verändert, sodass sich ein erheblicher Erklärungsbedarf ergibt, welchem vom Autor aber in keiner Weise Rechnung getragen wird.
Da es keine Anzeichen für eine solche Rampe gibt und der Aufwand dafür im keinem Verhältnis zum Nutzen steht, erübrigt es sich eigentlich eine solche Möglichkeit überhaupt in Betracht zu ziehen.
Zumal sich M-R in der Zusammenfassung seiner “kritischen” Bewertung und Analyse wie folgt und in Fettschrift dazu äußert:
[…] Senkrecht auf die Pyramide zulaufende Rampen müssen als Baumethode ausgeschlossen werden.
[…] Es liegen keine archäologischen Nachweise zu Rampenresten und größeren Schuttablagerungen abgebauter Stein- oder Ziegelrampen vor [23]Frank Müller-Römer, Der Bau der Pyramiden im Alten Ägypten, S. 350.
Da M-R die Länge einer Zugmannschaft für diese Bauteile mit ca. 130 m berechnet, hält er dies auch selbst für abwegig:
[…] Die sich ergebenden Längen der Zugmannschaften (einschließlich Reserven) betragen ca. 130 m bzw. für Gespanne ca. 60 m und scheinen für den Transport bis zur Mittelachse der Pyramide […] zumindest für Zugmannschaften zu groß zu sein [24]Frank Müller-Römer, Der Bau der Pyramiden im Alten Ägypten, S. 410 f.
Bei der vorausgesetzten separaten Bauweise eines Stufenkerns würde dieser bereits in einer Höhe von 44 m nur noch eine Kantenlänge von ca. 135 m haben (s. Abb. 1).
Auch der dabei zugrunde gelegte Reibungskoeffizient von 0,05 dürfte praktisch kaum zu erreichen sein, wodurch die Anzahl der Zugarbeiter mit 222 m. E. viel zu gering angesetzt ist.
Eine Erklärung, wie Ochsengespanne bis auf eine Höhe von 63 m gelangen sollen, bleibt der Autor im Übrigen auch schuldig.
Die andere in Betracht gezogene Möglichkeit ist ebenfalls wenig plausibel:
[…] Das Hochhebeln und damit das Anheben von Schicht zu Schicht (z. B. innerhalb einer Stufe des Kernmauerwerks) entsprach ebenfalls dem Stand der damaligen Bautechnik und muss als Möglichkeit mit in Betracht gezogen werden […] [25]Frank Müller-Römer, Der Bau der Pyramiden im Alten Ägypten, S. 410
Zwar ist es unbestritten, dass Hebeltechnik bereits in damaliger Zeit eingesetzt wurde, dass aber bis zu 70 t schwere Steinplatten und Granitbalken einfach hochgehebelt wurden, schließt sich schon allein deshalb aus, weil der fortschreitende Bau der Pyramide es erforderte, dass die Lagerflächen der Bauteile auf jeder Lage zugänglich gemacht werden mussten, um auch dort die Steine der jeweiligen Schicht verlegen zu können.
Es wäre also zwingend erforderlich gewesen, die schwergewichtigen Bauteile immer und immer wieder zu verlagern.
Auch wenn M-R der Meinung ist, dass:
[…] Eine eindeutige Lösung für diese Transporte […] ohne weitere genaue Kenntnisse der eingesetzten Techniken und Verfahren wohl auch in Zukunft nicht beschrieben werden kann […] [26]Frank Müller-Römer, Der Bau der Pyramiden im Alten Ägypten, S. 412
sollte ein “möglichst umfassendes Erklärungsmodell” deutlich mehr zu bieten haben, als Lösungsvorschläge, die mangels korrekter Berechnungen, Platz für Zugmannschaften, sowie Zugangswege für Ochsengespanne, nur ungenügend durchdacht daher kommen.
Und, auch der vermeintlich größte Vorteil in M-Rs Hypothese, nämlich der gleichzeitige Transport des Baumaterials über alle vier Seiten der Pyramide, erweist sich bei näherem Hinsehen eher als problematisch, denn als vorteilhaft.
Für die Cheops Pyramide bedeutet das, dass im unteren Bereich 16 Rampen alle 12 Minuten (1 Arbeitstakt), mit einem Stein beliefert werden müssen. Bei der roten Pyramide sind es sogar 20 Rampen alle 10 Minuten – M-R erläutert den Steintransport (nur) am Beispiel der Cheops Pyramide ausführlich (Kap. 6.2.2).
Das dort entwickelte Transportmodell ist erneut alles andere als einleuchtend:
[…] Für das Ziehen der Last eines Steins mit […] einem Gewicht von etwa 3000 kp auf einer Rampe mit dem Neigungswinkel von 6° und einer Gleitreibungszahl von 0,25 ist […] eine Zugkraft von insgesamt 1100 kp erforderlich. Diese bedingt […] den Einsatz von mindestens 122 Arbeitern. Werden auf der Rampe links und rechts neben der Zugbahn Treppen angeordnet, verringert sich die Anzahl der benötigten Arbeiter (ohne Reserve) auf 26. Unter der Annahme einer entsprechenden »Kraftreserve« wird von 34 Arbeitern ausgegangen.
[…] Geht man von […] einer Zuggeschwindigkeit von 10 (20) m/min aus, so können auf einer Rampe Steine im Abstand von je 5 (2,5) Minuten, d. h. pro Stunde 12 (24) Steine, gezogen werden. Bei 800 Blöcken in 10 Stunden werden etwa 7 (3) Schleppbahnen mit einer geschätzten Breite von 6 m zuzüglich der Wege für den Rücktransport der Zugeinrichtungen und Zugmannschaften benötigt. Die mittlere Entfernung zwischen dem Hauptsteinbruch und der Baustelle betrug ca. 700 m [27]Frank Müller-Römer, Der Bau der Pyramiden im Alten Ägypten, S. 248, 249.
Eine 700 m lange Rampe mit einem Neigungswinkel von 6° würde eine Höhe von ca. 73 m erreichen.
Bei einer angenommenen Bauweise mit senkrechten Seiten und einer Breite von 7 x 6 m, plus zusätzlicher Wege, insgesamt rund 48 m, würde der Materialbedarf für den Bau einer solchen Rampe schon etwa die Hälfte des Bauvolumens der Pyramide ausmachen, nämlich 1 226400 m³. Bei nur 3 Schleppbahnen wären es immer noch knapp 25 % – 613200m³.
Dass eine solche Rampe, egal wie viele Schleppbahnen sie letztendlich hatte, bis zu den am weitesten entfernten Baurampen, auf der Nordseite der Pyramide, geführt haben soll, ist wohl mehr als zweifelhaft. Zumal sie dort, geht man davon aus, dass sie etwa die Hälfte der Strecke entlang der Pyramide verlief, in einer Höhe von etwa 36 m angekommen wäre.
Es würden außerdem auch nur 2 Seiten der Pyramide über eine solche Rampe mit Steinen versorgt.
Dass es keinerlei Hinweise auf eine derartige Rampe gibt und die überdies auch absolut nicht mit dem bis dahin geschilderten Bauszenario in Übereinstimmung zu bringen ist, sei nur am Rande erwähnt.
M-R berechnet die Anzahl der Zugarbeiter in Tab. 6.2.2 mit 6800, bzw. 9100 Zugarbeitern [28]Frank Müller-Römer, Der Bau der Pyramiden im Alten Ägypten, S.249, was 200 bzw. 268 Zugmannschaften à 34 Mann ergibt, wovon jeder Zug pro 10 Stunden Tag 4 bzw. 3 Steine transportieren würde.
Wie die für diese Zahlen notwendigen Treppen in die Rampe integriert werden sollen und wie lang die erforderlichen Seile sein müssten, bleibt abermals ungeklärt.
Davon abgesehen, dass die Anzahl der Zugarbeiter aufgrund dieser sicher nicht vorhanden gewesenen Rampe deutlich nach oben korrigiert werden müsste, weil auf gerader Strecke wiederum der Vorteil der “abwärtsgerichteten Kraft unter Einbeziehung des Körpergewichts” fehlt, wären das also jeweils rund 800 Steine am Tag.
Wie sich das mit o. a. Zahlen vereinbaren lässt, ist erneut nicht nachvollziehbar. Transportiert man 12 bzw. 24 Steine pro Stunde über 7 Schleppbahnen, wären dass 840 oder 1680 Steine am Tag. Transportiert man 12 bzw. 24 Steine über nur 3 Schleppbahnen, wären dass 360 oder 720 Steine pro Tag.
Bei 7 Schleppbahnen könnten demgemäß in einem Abstand von 2,5 min, 168 Schleppmannschaften pro Stunde losgeschickt werden, bei einem Abstand von 5 min, jedoch nur noch 84 Schleppmannschaften.
Bei drei Schleppbahnen wären es bei einem Abstand von 2,5 min 72 Schleppmannschaften und bei einem Abstand von 5 Minuten gerade mal noch 36 Schleppmannschaften.
Das heißt, 32, 116, 196 oder 232 Schleppmannschaften würden währenddessen, abgesehen von einigen Minuten für den Rückweg, pausieren.
Bei 168 aktiven und 32 pausierenden Schleppmannschaften ergibt das ja noch einen Sinn, alles andere dagegen erscheint im Hinblick auf eine durchdachte Baulogistik ziemlich abstrus.
Dass eine Zugmannschaft einen Stein über 700 m kontinuierlich mit einer Geschwindigkeit von 20 m pro Minute, also 35 Minuten lang, zieht, ist noch weniger realistisch. Bei 10 m/min wären es sogar 70 Minuten, was noch viel weniger realistisch ist.
Realistisch wäre es, ausgehend von der Vorstellung des Autors, wenn man den Zugmannschaften jeweils nur relativ kurze Strecken zumuten würde. Das hätte den Vorteil, dass die Kraftanstrengungen sich, besonders angesichts der dort vorherrschenden klimatischen Bedingungen, im Rahmen hielten und nur verhältnismäßig kurze Regenerationsphasen nach jedem Zug von Nöten wären.
Jedoch ist das bei einer durchschnittlichen Schleppstrecke von 700 m auch wieder höchst unrealistisch, denn würde man die Strecke beispielsweise in 4 Abschnitte à 175 m unterteilen, wäre ja auch die vierfache Menge Zugarbeiter erforderlich. Bei drei Abschnitten die dreifache Menge usw.. Wobei man aber immer noch im Hinterkopf halten muss, dass die Anzahl der Zugarbeiter aufgrund der sicher nicht vorhandenen Rampe entlang der Pyramidenbasis, deutlich höher angesetzt werden müsste.
Fazit:
Zu widersprüchlich, zu abwegig, zu wenig durchdacht, zu unvollständig, die Aussagen bezüglich Logistik, Bauablauf und Bautechnik.
Zu ersichtlich das Bestreben des Autors eine ergebnisorientierte Faktenlage zu konstruieren, zu plump und überzogen der allzu häufig wiederkehrende Versuch, diese entgegen den Tatsachen als archäologisch belegt darzustellen.
Insgesamt gesehen bleibt der Autor weit hinter seinen eigenen Vorgaben zurück.
Weder entspricht es wissenschaftlichen Kriterien oder systematischer Methodik, die vorhandenen Fakten zu ignorieren, bzw. unerwähnt zu lassen, stattdessen aber solche als archäologisch belegte Befunde auszugeben, die diesem Anspruch nur bedingt oder in keiner Weise gerecht werden.
Noch kann die vorgelegte Hypothese dem Anspruch eines möglichst umfassenden Erklärungsmodells auch nur ansatzweise gerecht werden.
Abgesehen von offensichtlichen Defiziten in der Argumentation und dem nur ungenügend behandelten Transport der schweren Bauteile, bleibt ein maßgeblicher Aspekt des Pyramidenbaus gänzlich unberücksichtigt.
Nämlich, die konkave Gestaltung der Seitenflächen, die zudem nur an den drei behandelten Pyramiden, des Snofru, des Cheops und des Mykerinos festzustellen ist und zweifellos eine der größten Herausforderungen beim Pyramidenbau überhaupt darstellte.
Sicherlich, da stimme ich mit dem Autor überein, bedarf es zur Klärung einer solch komplexen Problematik, wie dem Bau der Pyramiden, einer interdisziplinären Herangehensweise, unter Einbeziehung verschiedener Wissenschaftsbereiche.
Jedoch ist M-R nicht der erste Ägyptologe, den der Aufbau einer schlüssigen Argumentationskette, aufgrund eben dieses nicht vorhandenen interdisziplinären Hintergrunds, sichtlich überfordert. So scheitert dieser Versuch nicht zuletzt am deutlich erkennbaren Mangel theoretischer und praktischer Erfahrungen im Bauwesen.
Dass sich der Autor in der Zusammenfassung seiner Bauhypothese, auf S. 415f, im Einklang mit den historischen Schilderungen des Herodot und des Diodor wähnt, zeigt abschließend noch einmal sehr anschaulich, wie wenig objektiv, aber bemüht er bis zum Schluss ist, seine Hypothese zu untermauern.
Herodot (wenn überhaupt), als auch Diodor waren erst rund 2000 Jahre nach dem Bau der Pyramiden in Ägypten, sodass deren Aussagen in etwa so zu beurteilen sind, wie ein Bericht über die Kreuzigung Jesu, aufgrund von Schilderungen der heutigen Einwohner Jerusalems.
Gewiss gäbe es noch mehr zu beanstanden, aber der Umfang der bis hierhin angesprochenen Unzulänglichkeiten sollte ausreichen, um zu erkennen, dass die damaligen Pyramidenbaumeister bedeutend versierter zu Werke gingen und es außer Frage steht, dass diese Hypothese den Bau der Pyramiden nicht überzeugend erklären kann.
Einzig die Umlenkung der Zugkraft unter Einbeziehung des eigenen Körpergewichts macht Sinn. Dass solche Technik zur Zeit des monumentalen Pyramidenbaus bereits bekannt war, ist unbestritten. Dass sie aber in Form von drehbar angeordneten, hölzernen Umlenkwalzen umgesetzt wurde, ist weder archäologisch belegt, noch wäre der Einsatz solcher Umlenkwalzen in besonderer Weise vorteilhaft.
© 2011 Ulrich Simon
Anmerkungen
[1] Jurman, Claus; http://s145739614.online.de/fera/ausgabe8/Jurman.pdf, S. 20
[2] Müller-Römer, Frank; Der Bau der Pyramiden im Alten Ägypten, S. 365
[3] op. cit., S. 22
[4] Jurman, Claus; http://s145739614.online.de/fera/ausgabe8/Jurman.pdf, S. 21
[5] Müller-Römer, Frank; Der Bau der Pyramiden im Alten Ägypten, S. 239
[6] Stadelmann, Rainer; Die ägyptischen Pyramiden, S. 95, S. 225
[7] Krauss, Rolf; Zur Berechnung der Bauzeit an der Roten Pyramide, in: ZÄS 125 (1998), S. 30
[8] Müller-Römer, Frank; Der Bau der Pyramiden im Alten Ägypten, S. 357
[9] op. cit., S. 372
[10] op. cit., S. 195
[11] Maragioglio & Rinaldi; L’architetturade la Pyramide Menfiti, Parte VI, S.49, u. S. 50 f.
[12] Müller-Römer, Frank; Der Bau der Pyramiden im Alten Ägypten, S. 195
[13] op. cit., S. 357
[14] Maragioglio & Rinaldi; IV, La Grande Piramide di Cheope, S. 12
[15] Müller-Römer, Frank; Der Bau der Pyramiden im Alten Ägypten, S. 351
[16] op. cit., S. 54
[17] op. cit., S. 59
[18] op. cit., S. 77
[19] op. cit., S. 364
[20] op. cit., S. 364, 373
[21] op. cit., S. 350
[22] op. cit., S. 410
[23] op. cit., S. 350
[24] op. cit., S. 410
[25] op. cit., S. 410
[26] op. cit., S. 412
[27] op. cit., S. 248 u. 249
[28] op. cit., S. 249
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