
Wie entstand der Grabräuberstollen in der Cheops Pyramide?
Betritt man heute als Tourist die große Pyramide des Cheops, durchschreitet man von der Nordseite her einen langen geradlinigen und aufrecht begehbaren Stollen – den Grabräuberstollen. Dieser wurde etwa 9 Meter unterhalb und ca. 5 m rechts des ursprünglichen Eingangs angelegt und liegt in der 19 Steinlage auf 16,5 Meter.
Zu welcher Zeit diese Bresche geschlagen wurde ist unklar – schriftliche Überlieferungen in der Mahnschrift des Ipuwer, der rund 390 Jahre nach Cheops lebte, geben jedoch Autoren und Ägyptologen Grund zu der Annahme, dass es bereits in der Antike geschehen sein muss, obwohl aus dem Text nicht hervorgeht welche Pyramide und welchen Horussohn Ipuwer beschreibt.
“Sehet, der als Falke bestattet war, ist aus dem Sarg gerissen. Das Geheimnis der Pyramiden ist ausgeleert. Sehet, es ist soweit gekommen, dass das das Land des Königtums beraubt worden ist von ein paar Menschen die nichts von Regierung verstehen.” (VII)
Trotz allem ist der Stollen heute weitläufig als – Der Grabräuberstollen des Kalifen al-Ma’mun – bekannt, der der Überlieferung nach im 9. Jahrhundert diesen Stollen mit seinen Mannen von außen in die Pyramide gebrochen haben soll – in der Absicht die Pyramide ihrer Schätze zu berauben.
Miroslav Verner mutmaßt in seinem Buch “Die Pyramiden”, dass al-Ma’mun lediglich einen kleinen, in früherer Zeit durch Grabräuber geschaffenen Stollen vorgefundenen und erweitert hat. Es deuten Spuren daraufhin, dass man versucht hat den einstmals kleinen Stollen wieder zu verschließen. Vermutlich geschah dies in der Saiten-Zeit (26. Dynastie), als man sich nachweislich um die Restaurierung von Denkmälern aus dem alten Reich bemühte, aber auch Ramses II. käme als Restaurator in Frage.
Begibt man sich vom Originaleingang 28 Meter den absteigende Korridor hinab, trifft man auf die Abzweigung von der aus der aufsteigende Korridor etwa 38 Meter in südlicher Richtung zur großen Galerie hinauf führt. Nach 47 Metern gelangt man von deren Ende durch einen kurzen Gang in die Königskammer, die ursprünglich durch drei Fallsteinblockierungen unzugänglich gemacht worden war.
Am Fuß der Großen Galerie, an dem der aufsteigende Korridor endet und die Große Galerie beginnt zweigt ein weiterer, 38 Meter langer, horizontal angelegter Korridor ab. Ebenfalls in südlicher Richtung führt er zur Königinkammer.
An dieser Abzweigung befindet sich in der westlichen Wand, dicht über dem Fußboden der großen Galerie, eine ca. 70 x 70 cm große Öffnung. Hier beginnt ein fast senkrecht verlaufender Kriechschacht, der bei seiner neuerlichen Entdeckung verschlossen, mit Sand und Kalksteinsplittern aufgefüllt, vorgefunden wurde. Er mündet tief unten, einige Meter vor Beginn des horizontalen Abschnittes in den absteigenden Korridor.
Für mich unzweifelhaft ist dieser Schacht gleichzeitig mit der Pyramide gebaut worden – Mauerarbeiten im Inneren und die Notwendigkeit eines Ausgangs für Diejenigen, die letztlich die Granitblöcke aus der Großen Galerie herunter lassen mussten, um den oberen Kammerbereich abzuriegeln, lassen wenig Raum für Spekulationen.
Letzteres veranlasste schon Sir Flynders Petrie dazu, den Schacht als Fluchtschacht zu bezeichnen, was bis heute nicht unumstritten ist.
Der aufsteigende Korridor ist am Anfang durch drei massive Granitblöcke nahezu hermetisch abgeriegelt und verschließt den Zugang zum oberen Kammerbereich. Um diese schwerlich überwindbare Blockierung zu umgehen, wurde der Stollen durch den einfacher zu bewältigende Kalkstein getrieben. Auffällig dabei ist, dass der Durchbruch in den aufsteigenden Korridor exakt neben dem letzten der drei Blockiersteine erfolgte.
Nicht wenige, so z. B. der Autor Michael Haase in seinem Buch “Das Rätsel des Cheops”, kommen basierend auf diesem Umstand zu dem Schluss, dass der Stollen nur mit Hilfe der Originalbaupläne den aufsteigenden Korridor so präzise, direkt neben den Granitblöcken tangieren konnte.
Die leichter zu bewältigende Höhe, die die Arbeit der Stollengräber vereinfachte und die zweifelhafte Überlieferung, dass der Originaleingang von außen nicht sichtbar unter den Verkleidungssteinen verborgen lag, sind weitere Argumente die zur Unterstützung dieser Theorie herangezogen werden.
Spricht ein Autor im Zusammenhang mit der Pyramide von Bauplänen, oder Papyrusreisbrett und erweckt damit bei seinen Lesern leichtfertig den Eindruck, die alten ägyptischen Baumeister seien ähnlich unseren heutigen Ingenieuren mit Unmengen von Detail-, Schnitt und Ansichtszeichnungen unterm Arm auf der Baustelle umhergelaufen, hat er sich dem Thema meiner Ansicht nach nur oberflächlich gewidmet.
Abgesehen von dem traurigen Umstand das bis jetzt nur wenige rudimentär erhaltene Fragmente gefunden wurden, auf dem bautechnische Aufzeichnungen aus dem alten Reich zu erkennen sind, stellt sich für mich zu allererst die maßstabsgetreue Umrechnung der Pyramidenabmaße als Problem dar.
Als nächstes stelle ich mir vor, wie ein “Technischer Zeichner” bewaffnet mit einem Lineal, welches nach unserem Wissenstand keine kleinere Unterteilung als Fingerbreit aufweist, eine bautechnische Zeichnung mit Pinsel und Farbe “millimetergenau” auf grobes, unebenes Papyrus malt, von der dann auf der Baustelle wichtige Maße abgriffen werden.
Angespitzte Stöckchen in Farbe getaucht, ein Stück Holzkohle, oder eine Kupfer-Reißnadel mit der man in Ton, Gips, oder anderes festes Material ritzt, bieten da nur schwache Alternativen.
Technische Zeichnungen in unserem Sinne dürften wohl damals nicht mehr als grobe Skizzen gewesen sein, ob die allerdings den Weg in die Archive, oder in eine immer wieder vermutete “geheime Kammer des Wissens” gefunden haben ist fraglich – einen stichhaltigen Hinweis auf eine solche Kammer gibt es allerdings keinen.
An den Trial Passages und baulichen Relikten in anderen Pyramidenbezirken wird deutlich, dass die Konstrukteure sich Modelle erstellten, um Problemlösungen, oder technische Neuerungen zu bewältigen. Es erscheint daher auch nicht unwahrscheinlich, wenn größere Konstruktionen in einem einfachen Maßstab auf einer geebneten Fläche mittels Ausschnürung erfolgten, wobei 1:1 und 1:10 wohl am häufigsten Verwendung gefunden haben dürften.
Nun, es ist nicht schwer einer sich selbst widersprechenden Theorie zu widersprechen, denn jeder der über die Originalbaupläne und ein bisschen Grips verfügte, hätte sich die mühevolle Arbeit, einen ca. 30 Meter langen Stollen durch massives Gestein zu schlagen erspart und wäre durch den dort auch verzeichneten Originaleingang in die Pyramide eingedrungen.
Auch wenn dieser einige Meter höher liegt und durch Verkleidungssteine verdeckt war – Strabo, ein griechischer Historiker, der Ägypten um 25 v. Chr. besuchte, berichtet hingegen von einem beweglichen Verschlussstein – sollte jedem einleuchten, dass man mit Plänen keinen Stollen benötigt um in die Pyramide zu gelangen und ohne Pläne praktisch unmöglich exakt den aufsteigenden Gang direkt neben den Blockiersteinen treffen kann.
Anhand der Baupläne wäre es überdies ein einfaches gewesen einen 4 mal kürzeren Stollen zu schlagen, indem man sich einige Meter vor der Blockierung, in der Decke des absteigenden Korridors beginnend horizontal durchgräbt, bis man nach ca. 12 Metern in die Deckedes aufsteigenden Korridors stößt. Ebenso hätte man hinter der Blockierung vertikal in den Boden des aufsteigenden Korridors durchbrechen können.
Trotz der angeblich vorhandenen Baupläne haben die Grabräuber aber einen viel umständlicheren Weg gewählt und dafür gibt es eigentlich nur zwei plausible Gründe – die Grabräuber hatten weder Baupläne, noch die Absicht über den Stollen in die Pyramide einzudringen!
Wie aber konnte man ohne Baupläne die Granitblöcke so exakt umgehen und direkt neben dem letzten Stein durchbrechen?
Hierfür gibt es eigentlich auch nur eine plausible Erklärung – Man hat den Schacht nicht von außen nach innen gegraben, sondern von innen nach außen und sich auf dem mühsamen Weg durch das Gestein an der Verlegung der Blöcke orientiert!
Richtig, ich setze voraus dass der Originaleingang kein schwer auffindbares Objekt für die Plünderer darstellte. Durch diesen kamen sie bis in die Felsenkammer.
Michael Haase zieht die Möglichkeit in Betracht, dass der gesamte absteigende Korridor, also rund 100 Meter, mit Kalksteinblöcken aufgefüllt war, die im Laufe der Jahrtausende abgetragen wurden – bleibt dafür aber jeglichen Beweis schuldig.
Durch den Fluchtschacht, der zu der Zeit wahrscheinlich noch nicht verschlossen und zugeschüttet war, drangen sie in den oberen Kammerbereich und umgingen so automatisch die Granitblockierung.
Die Notwendigkeit des Stollens sehen viele in der Tatsache, dass man etwas aus der Pyramide transportieren wollte, was durch die abrupten 75°, bzw. 90° Richtungsänderungen im unteren Bereich des Fluchtschachtes nicht zu transportieren war – eine Statue o. ä..
Objektiv betrachtet ist es aber viel wahrscheinlicher, dass man vor allem etwas hinein transportieren wollte, nämlich lange hölzerne Hebel um die Fallsteinblockierung vor der Königskammer nach oben ziehen zu können ! Wo auch sonst sollten die vermeintlichen Schätze gewesen sein!?
Man begann also unten im aufsteigenden Korridor, direkt vor dem letzten Verriegelungsblock einen Stollen zu schlagen, dessen Größe sich entgegen aller Annahmen primär danach richtete was reintransportiert werden sollte – man konnte ja noch gar nicht wissen, was man in der Königskammer finden würde.
Anzunehmen ist, dass er ursprünglich zumindest so groß war, dass zwei bis drei Mann in ihm arbeiten konnten. Einer, oder Zwei die schlugen, einer der den Schutt entsorgte. Der Abraum wurde von weiteren Helfern mit an Stricken befestigten Säcken, oder Körben, vielleicht sogar auf einem Schlitten nach oben gezogen und dort ausgeschüttet.
Was wirklich dort zu holen war bleibt Spekulation, denn nicht ein Artefakt aus dem angeblich so sagenhaften Pyramidenschatz ist jemals gefunden worden.
Bei der Grabungsaktion fiel naturbedingt eine große Menge Abraum an, der solange man an dem Stollen arbeitete in der Großen Galerie gelagert werden musste. Der Fluchtschacht wurde solange die Arbeiten andauerten noch als Ein- u. Ausgang benötigt.
Als der unter widrigen Bedingungen angelegte Stollen nach langer, schweißtreibender Arbeit endlich fertig war, versperrten etwa 35 – 50 m³ Kalksteinsplitter und Sand den freien Durchgang in der Großen Galerie.
Von Cheops Konstrukteuren sicher nicht ausschließlich als solcher geplant, hatte der Fluchtschacht seine Verwendung als einziger Zugang zum oberen Bereich endgültig verloren, wurde deshalb unten verschlossen, kurzerhand in einen Entsorgungsschacht umfunktioniert und von oben mit dem Schutt des Stollens aufgefüllt, womit auch Flynders Petrie seine späte Bestätigung findet.
Der Schacht konnte nur von oben gefüllt werden, hätten dies die Leute machen müssen die den aufsteigenden Korridor verschlossen, wäre dies Ihrem Todesurteil gleich gewesen. Dann nämlich gab es für sie keinen Fluchtweg mehr. Hinweise auf derartige Menschenopfer sind nicht bekannt und wohl auch guten Gewissens auszuschließen.
© 2002 Ulrich Simon
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